Oder, wenn nicht gejammert wird, dass keiner mehr arbeiten wolle, wird gejammert, die jungen Menschen würden nicht mehr arbeiten wollen. Doch stimmt das so pauschal? Und was hat Arbeit mit Burn-Out oder Depression zu tun? Meine nicht-arbeitgeberfreundliche Meinung zu „Keiner will mehr arbeiten“.

„…mehr Bock auf Arbeit“

Im Februar 2023 forderte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) Steffen Kampeter längere Arbeitszeiten und mehr Bock auf Arbeit. Im Mai 2023 erklärte Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), in einem Interview, was im Grunde damit gemeint wäre: keine Arbeitszeitverkürzung, da dies auch rententechnisch nicht zu bewältigen wäre, sondern „Es geht um Lust auf mehr Arbeit.“ Außerdem meinte er: „Für manchen ist es auch schlicht nicht attraktiv, mehr zu arbeiten, weil die Einkommenssteuer das meiste auffrisst, was man mehr verdient.“

Viele wollen nicht mehr und mehr arbeiten!

Nun, mag sein. Aber die Gründe, die ich von den meisten Arbeitnehmern bisher hörte, weshalb sie nicht mehr arbeiten wollen, klingen ganz anders:

  • Die Anerkennung fehlt. Selbst wenn unbezahlte Überstunden abgeleistet werden, erfolgt keine Anerkennung. Im Gegenteil – danach wird immer noch mehr verlangt.
  • Mehr Arbeit wird auf die derzeitigen Mitarbeiter verteilt = bei Kündigungen oder anderen Gründen, weshalb ein Arbeitnehmer ausscheidet, wird auch diese Arbeit auf die derzeitigen Mitarbeiter verteilt. Jeder Einzelne hat immer mehr zu leisten.
  • Wenn endlich der Feierabend erreicht ist, sind viele viel zu kaputt, um freiwillig noch mehr Zeit investieren zu können.
  • Viele haben nunmal auch ein großes Interesse, private Beziehungen zu pflegen. Das geht nicht mit ausufernden Arbeitszeiten, permanenter Selbstoptimierung und wenn man sich irgendwann nur noch zu müde für alles fühlt.
  • Mehr Arbeit führt nicht zu unbefristeten Arbeitsverträgen.
  • Mehr Arbeit führt nicht zu Beförderungen. (Vitamin Beziehung und Lautsein bringt da schon weitaus mehr.)
  • Mehr Arbeit führt nicht zu einer besseren Bezahlung.

Die Liste kann ich so gerne weiterführen.

„Keiner will mehr arbeiten“ – die Quittung für all die leeren Versprechungen!

Als ich zur Schule ging, wurde mir versprochen, dass es mir gut ginge, wenn ich fleißig wäre. Dass ich eine feste, sichere Arbeitsstelle bekäme und und und. Die Wahrheit? Die Tätigkeitsbeschreibungen in den Arbeitsverträgen und meine Arbeitsalltag klafften weit auseinander. Ich hatte Arbeitgeber, denen ich wegen meines Gehalts regelmäßig hinterherrennen durfte, eine Arbeitgeberin schuldet mir bis heute noch knapp drei Gehälter, hinzu kamen Dinge wie ein befristeter Arbeitsvertrag nach dem anderen. Wäre es nach zahlreichen Betrieben gegangen, hätte ich X unbezahlte Praktika absolvieren können, mich gerne „ehrenamtlich“ engagieren können usw.
Weihnachts-, Urlaubs – oder sonstiges Extra-Geld? Bitte, wir haben doch nicht die 1980er! Wovon träumst du denn nachts?

Ich gehöre nicht zu den Millenials, Gen Y oder der Gen Z, die so oft als „faul“ beschimpft werden, sondern zu denen nach den Babyboomern, der „Generation X“. Kurz: zu denen, die bei der ganzen Diskussion ignoriert werden. Generation Pillenknick gehört da rein (also mein Jahrgang) – das sind so wenige, wen interessieren die denn schon?

Wir sind diejenigen, bei denen manche noch die alten Versprechen erfüllt bekamen, während andere bereits in der neuen Arbeitswelt unsanft erwachten. Ich habe Abitur und kenne die Schattenseiten. Menschen, die „nur“ den Hauptschulabschluss vorweisen konnten, landeten spätestens in den 2000ern schnell im Strudel, der sie von einer Zeitarbeitsfirma zur nächsten wirbelte. Nichts war mehr sicher, ist es auch heute nicht.

Für mich sind alle, die offen sagen, dass sie nicht (mehr) arbeiten wollen oder zumindest nicht unter diesen Bedingungen, einfach nur ehrlich und keineswegs faul.

„Keiner will mehr arbeiten“ – und Care-Arbeit zählt immer noch nichts

Es ist ja nett, wenn Arbeitgeberpräsidenten von sich geben, keiner wolle mehr arbeiten, und wiederholt mehr Arbeitszeit (und Lust) einfordern. Das zeigt auch etwas, das in unserer Leistungsgesellschaft vollkommen schief läuft: Care-Arbeit wird nicht als Arbeit angesehen. Sie zählt nichts, da ja weder etwas produziert wird noch eine Bezahlung, mindestens nach Mindestlohn, erfolgt. Scheinbar ist Care-Arbeit einfach nur irgendeine Freizeitbeschäftigung. Sie trägt weder dazu bei, dass das Brutto-Sozialprodukt, noch dass das Exportvolumen steigt.

Bei Pflegegrad 2 wird ein Hilfebedarf von 3 Stunden täglich eingeschätzt. Wäre es Arbeit, die ein Angehöriger hier verrichtet, dann würden bei 3 Stunden täglich, 7 Tage die Woche = 21 Stunden pro Woche x Mindestlohn 12 Euro = 252 Euro pro Woche herausspringen. Hochgerechnet auf den Monat ist das ein Midijob (seit 2023 bis 2000 Euro brutto), also gehen die Sozialversicherungsbeiträge ab.
Die sind aber lange nicht so hoch. Sie erklären nicht, weshalb ein pflegender Angehöriger (meistens ist es ja eine pflegende Angehörige…) 316 Euro abzugsfrei pro Monat erhält.

Aber das fehlende Geld wird doch mit gaaaanz viel Liebe und Anerkennung ausgeglichen, oder? Macht man doch gerne in seiner FREIZEIT.

Genauso wenig wie die Pflege Angehöriger als Arbeit gezählt wird, sieht es bei der Kindererziehung aus. Es gibt zu wenige Kindertagesstätten, hier stimme ich voll und ganz mit den Arbeitgeberpräsidenten überein. Doch was ist mit den Kindern, die in einer Kindertagesstätte waren und dann in die Schule kommen? Vor allem während der Ferienzeiten? Eltern stehen mit diesem Problem alleine da. Tja, außerdem ist Kinder kriegen und erziehen wohl noch so ein Hobby, das zulasten der Rente, der Arbeitgeber, der Produktion geht.

Wer ist denn „faul“?

Worüber ich ebenfalls bei meinen Recherchen stolperte: Die „Babyboomer“ beschweren sich, zumindest in allen möglichen Zeitungsartikeln, über die faulen Jungen, aber seltsamerweise wollen die meisten am liebsten früher in Rente trotz Abschläge. Laut agrarheute.de herrscht ein regelrechter Trend zum früheren Rentenbeginn.

Na, wie passt das denn zusammen? Die einen haben bereits ein früheres Renteneintrittsalter als wir alle danach jemals haben werden, und wollen am liebsten noch früher in Rente – aber die danach sind faul? Obwohl die danach vermutlich sowieso nicht mehr so eine Rente bekommen werden, egal, wie sehr sie sich anstrengen? Viele von uns, der Gen X, machen ja bereits Witze, dass wir niemals in Rente gehen können, da wir uns das sowieso nicht leisten können.

So oder so: Ich kann keinem jungen Menschen nachvollziehbar erklären, weshalb er sich ins Zeug legen soll für irgendeine Arbeitsstelle. Vor allem nicht, wenn es dann noch um irgendeine ach-so-verzweifelt-gesuchte Fachkräftemangelstelle in der Pflege, in der Erziehung, Bildung oder im sozialen Bereich geht. Es zahlt sich in mehrfacher Hinsicht nicht aus.

„Fachkräfte“: Bezahlung und Arbeitsbedingungen

Es zahlt sich für die angeblichen Fachkräfte nicht aus.
Weshalb „angebliche Fachkräfte“? Wenn es gesuchte Fachkräfte wären, dann müsste sich das in der Bezahlung und in den Arbeitsbedingungen widerspiegeln, oder? Macht es jedoch nicht.

Im März 2023 brachte das ZDF einen Beitrag: „Soziale Berufe an der Belastungsgrenze„. Interessant fand ich diesen Satz: „Über alle Arbeitsfelder der sozialen Arbeit hinweg arbeiten laut Studie mehr als ein Drittel (38,9 Prozent) der Befragten regelmäßig drei oder mehr Stunden wöchentlich zusätzlich.“ So viel zur unterstellten Faulheit und der Forderung nach Mehrarbeit.

Oh, studieren sollen die Kinder? Studiert bringt mehr? Erzieher*innen verdienen im Bereich Erziehung/Sozial noch vergleichweise gut.
„Andere soziale Berufe wie Sozialpädagogen oder -arbeiter erhalten im Schnitt ebenfalls niedrigere Löhne als Erzieher: für sie gibt es monatlich zwischen 2.300 Euro und 3.600 Euro.“ (Quelle: p-werk.de)
Natürlich darf man nicht vergessen, dass eine Teilzeitstelle weniger Bruttogehalt mit sich bringt, Erzieher also oft weniger Geld aufgrund der geringeren Stundenanzahl bekommen.

Verdi hat ebenfalls eine aufschlussreiche Analyse zum Nachlesen über die Belastungen im Sozial- und Erziehungsdienst: „Manche arbeiten unbezahlt länger, um den Menschen dennoch gerecht werden zu können. Auch, weil sie sich sonst für die Überstunden rechtfertigen müssen. Für mich ist die größte Belastung, dass man alleingelassen wird.“

„Keiner will mehr arbeiten“?

Darum nochmal: „Keiner will mehr arbeiten?“ Ohne diese ständige Mehrarbeit und dieses Engagement wäre doch längst alles wie ein Kartenhaus zusammengestürzt. Auch wenn diese Bereiche so wenig Anerkennung finden, arbeiten sich dort viele bis zur Erschöpfung kaputt.

Es kann ganz schlicht und einfach nicht mehr so weitergehen! Auf Dauer ist dieses System nicht mit noch mehr und noch mehr aufrechtzuerhalten.