Statt „Depression“ könnte ich genauso gut „Depressionen“ schreiben, denn bei mir blieb nicht eine Depression alleine.

Im ICD-10 findet man die depressive Episode unter F32, unterteilt in drei Schweregrade. Episode klingt erst einmal gut, sowas kennen wir ja aus Serien. Warte – Serien? Ja, genau. Man kann daran auch mehrmals im Leben erkranken, was als „rezidivierende depressive Störung“ bezeichnet wird, unter F33 aufgeführt.

Als Symptome wird vieles genannt, wobei nicht jeder Mensch und jede Depression gleich ist. So kann der eine unter Appetit- und damit verbundenem Gewichtsverlust leiden, während Leute wie ich unbeirrt weiterfuttern können und dann zunehmen, da sie sich durch die Lustlosigkeit viel weniger bewegen. Und vielleicht sogar noch ein wenig Frustfuttern betreiben. Falls du dich fragst, ob du an einer Depression leiden könntest, auf den Seiten der Deutschen Depressionshilfe findest du einen Selbsttest. Allgemein kann ich diese Homepage nur empfehlen.

 

Depression, Dysthymie, Manie…???

Irritierend dürfte es für viele sein, dass gleich mehrere Arten an Depressionen herumschwirren.
Über die Form der Dysthymie, die „chronische Depression“, habe ich hier mehr geschrieben. Sie gilt als diejenige, die im ersten Moment als am leichtesten verkraftbar aussieht und tatsächlich meist erst in Verbindung mit anderen Formen entdeckt wird. Sie ist jedoch auch die anhänglichste.

Ist von einer bipolaren Störung die Rede, oder veraltet „manisch-depressiv“, dann wechseln sich Tiefphasen wie bei der Depression mit Phasen eines Hochgefühls ab. Hochgefühl klingt doch toll…? Nein, nicht bei einer Manie. Eine Manie kann dazu führen, dass sich jemand so verausgabt, dass kurz danach der Rutsch ins andere Extrem vorprogrammiert ist. Manche überschulden sich in dieser Phase oder schaden sich auf andere Arten. Das Maß stimmt hier einfach nicht. Bei der bipolaren Störung handelt es sich auch gar nicht um eine Depression im klassischen Sinne, sondern um eine eigenständige Erkrankung, die anders behandelt werden muss.

Meist sind diese unipolaren Episoden gemeint, die beginnen und irgendwann wieder aufhören. Wie lange sie bleiben, das ist schwer einzuschätzen.
Mal ein Tagestief, was viele im Alltag als „ich hab heut meine Depri“ bezeichnen, fällt nicht darunter: 14 Tage am Stück müssen das schon mindestens sein. Ohne Hoch oder Okay dazwischen, ohne morgens mies, aber zum Feierabend hin super. Und sich mit Schokolade vollstopfen, Tee trinken, die Seele baumeln lassen, ein Bad nehmen oder was auch immer so an Wunderheilmitteln genannt wird, das hilft kein klitzekleines Bisschen, wenn der schwarze Hund, wie Churchill seine Depression beschrieb, da ist.

Vielleicht hilft es mehr, wenn ich meine Depression beschreibe. Ende 2021 ging ich sogar freiwillig in eine Fachklinik („Irrenanstalt“), was bei den Horrorvorstellungen in meinem Kopf viel aussagte.

 

Meine depressive Episode 2021

„Ganz normal“ ging ich arbeiten, „ganz normal“ sah es nach außen aus, vielleicht nicht glücklich oder sonstwas, aber die Maske funktionierte gut. Sobald ich zuhause war, fiel diese Maske und ich schottete ich vollkommen ab: keine Besuche, möglichst weder Telefonate noch Mails oder sonstige menschlichen Kontakte, möglichst wenige Reize…
TV war mir zu viel Input, früher las ich gerne, doch mich in Romane regelrecht hineinfallen zu lassen, funktionierte nicht mehr, malen nicht mehr, selbst Musik hören war nach einer Weile anstrengend. Vielleicht auch, weil ich eher zu den „Kopfhörer auf und intensiv“-Hörern gehöre. Früher tanzte ich gerne und gab sogar Kurse bis Ende 2019, aber dazu war mir die Lust abhanden gekommen.

Im Grund aß ich zuhause nur noch, duschte und schlief. Mehr war einfach nicht möglich, weil ich ohnehin schon durch mein Masketragen während der Arbeit heillos überfordert und ausgelaugt war. Alles war anstrengend, jeder Tag eine Last und bereits morgens wollte ich nur noch, dass dieser Tag zuende geht. Irgendwie.

Ist ja schön, wenn man sowas hört wie „schau mal, die Sonne scheint“, „Bewegung hebt die Laune“ und sonstwas. Nö, bereits Ende 2019 hob auch das Tanzen bei mir nicht mehr die Laune. Es war anstrengend, gerade wenn ich dann noch vor anderen so tun wollte, als ob es mir nach wie vor Spaß machen würde. Jeden Tag lief ich von der Arbeitsstelle zum Bahnhof, das hob ebenfalls kein klitzekleines Bisschen meine Laune. Ob die Sonne schien oder nicht – was sollte das für einen Unterschied machen? Der Tag war doch sowieso einfach nur ein weiterer anstrengender, überflüssiger Tag in einem sinnbefreiten, überflüssigen Leben.

Kein Sinn, kein Gefühl

Ja, genau – sinnbefreit. Außer dass ich Miete, Essen und Rechnungen bezahlen sollte, fiel mir kein Grund zum Arbeiten ein. Miete, Essen, Rechnungen bezahlen macht man halt, aber eigentlich war mir sogar das egal. Okay, ohne Wohnung wäre es schwerer gewesen, sich richtig zurückzuziehen und die Ruhe zu haben. Aber ansonsten? Wofür? Weshalb? Und wofür überhaupt fragen, wofür? Da war nix. Es gab keinen Grund für mein Leben, keine Hoffnung, keine Zukunft, nichts. Wenn ich mich nicht mies fühlte, dann war da ebenfalls nichts. Kein Gefühl. Ich konnte stundenlang die Decke anstarren und merkte zum Teil nicht mal, wie die Zeit verging. Ich war einfach nicht da, fühlte nichts, war leer. Höchstens eine Hülle, die da auf der Couch saß oder lag oder auch auf dem Boden lag, war eh egal.

Es ist sehr schwer, gerade den gefühlslosen Zustand mit Worten zu beschreiben, da Worte Gefühle oder Vorstellungen beinhalten. Diese waren jedoch weg. Selbst wenn die Niedergeschlagenheit und Verzweiflung zurückkehrten, war das irgendwie besser, weil ich dann zumindest wusste, dass ich noch da bin. Auch wenn ich nicht gerne da war.

Depression ist keine Traurigkeit

Die Niedergeschlagenheit oder der „Abgrund“, so wie ich es nenne, wird oft als „Traurigkeit“ in Berichten bezeichnet. Bei Trauer kann ich weinen, weiß gewöhnlich weshalb, es gibt einen Grund und irgendwann ist es vorbei, oder? Ich verspürte keine Trauer im herkömmlichen Sinne. Es war vielmehr niederdrückend, als ob ich manchmal nicht mal mehr atmen könnte, als ob alles grau wäre, neblig, ich alles durch Watte wahrnahm…
Daneben kreisten die Gedanken in meinem Kopf, ich versuchte, mich selbst vollkommen zu kontrollieren, damit ich nichts falsch machte – und machte dann erst recht einiges falsch. Zumindest falsch in meinen Augen. Ein falscher Kommentar von mir genügte, eine falsche Geste, und ich warf mir das immer und immer wieder vor. Mein Kopf schwirrte und oft genug war es so, dass er sich dumpf in den Feierabend verabschiedete. Noch was aufnehmen an Informationen? Nö, war überfüllt. Auf dem Weg von der Arbeit heimwärts kämpfte ich mit einer bleiernden Müdigkeit.

Da war kein Stopp, keine Chance, aus den Gedanken auszusteigen – und dieses „good vibes only“-Geschwafel gab mir eher den Rest, weil ich doch sogar dazu viel zu unfähig war. Obwohl ich in den wenigen Momenten, wenn halbwegs etwas ging, verzweifelt versuchte, mir selbst mit diesen Selbsthilfebüchern bzw. der Glücksliteratur weiterzuhelfen.

Mit jedem Tag, der mir zu viel war, wuchs die Hoffnungslosigkeit, dass es jemals besser werden würde.

Suizid – ein Ausweg?

Wenn kein Sinn mehr vorhanden ist, teilweise sogar nicht mal mehr ein Gefühl, wenn keine Hoffnung mehr da ist und auch keine Zukunft, dann kann das zu Selbstmordgedanken führen.

Laut Wikipedia sind bei den Todesfällen mit äußerer Ursache 31% Suizidtote, eindeutig mehr als die 17% Verkehrstote. Wikipedia (Suizid) und Wikipedia (Depression)
Die Suizidrate sank seit den 1980ern, da sich die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen verbessert hat, und vermutlich auch, weil mittlerweile überhaupt darüber gesprochen wird.

Obwohl die Häfte der Suizide auf Depressionen zurückgeführt werden, wird diese Krankheit allgemein immer noch verharmlost.
Genauso wie Suizidvorhaben / Suizid(versuche) als „Feigheit“ bezeichnet werden. Wirklich? Ein Suizid geht gegen den Überlebenstrieb, da braucht es schon viel Verzweiflung und Antrieb sowie Überwindung in diese Richtung.

Ich kann hier nur für mich sprechen: Sogar der Gedanke an einen Suizid ist nicht angenehm, bis Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit so extrem sind, dass das als Ausweg überhaupt in Frage kommt.

Keine Zukunft in Sicht, dafür sah ich meine Verfehlungen und war der absolut festen Überzeugung, dass „die Welt“ ohne mich sowieso besser dran war. Genauso würden Freunde und Familie schnell feststellen, dass ich kein Verlust bin.
Ich begann zu planen, zerriss die Seiten, plante wieder… Meine Pläne wurden immer klarer – und das, obwohl ich mich ohnehin meistens zu nichts aufraffen konnte, was für mich im Nachhinein erstaunlich ist. So wenig Energie und die für eine Selbsttötung aufwenden (wollen), für mich heute kaum noch nachvollziehbar.

Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann ich mein Vorhaben umsetzen würde. Gefühlt war ich nicht mehr weit entfernt, auch weil mir etliche Punkte meiner To Do-Liste wie z. B. alles soweit ordnen, dass man problemlos alle Unterlagen wie zu Versicherungen etc. nach meinem Tod finden konnte, egal wurden.

Stopp!

Ab und zu ging mir durch den Kopf, dass ich mir Hilfe suchen sollte. Vielleicht mich selbst in die Psychiatrie einliefern? Irgendwo war also noch so ein klitzekleiner Überlebensfunke. Aber ob mir das überhaupt helfen würde? Außerdem hatte ich all die Horrorvorstellungen aus irgendwelchen Filmen im Kopf. Also keine Option. Oder doch? Neeeeeee.

Als ich an einem Wochenende bei meinem Papa und meiner Stiefmama war, weil etwas mit deren PC nicht in Ordnung war, schaffte es vor allem meine Stiefmutter, dass ich von meinen Gedanken erzählte. Sie und Papa bestärkten mich darin, mir in der Rheinhessen-Fachklinik in Alzey Hilfe zu holen. Trotz Coronazeit erfolgte die Aufnahme von jetzt auf gleich.

Tja… Und darum bin ich noch hier.

Mehr über meine Erfahrungen in der Klinik steht hier: Psychiatrie – schlimm oder hilfreich?

 

Wichtige Seiten und Nummern

Homepage Suizidpräventation

Homepage Telefonseelsorge, Hilfe per Chat und Telefon möglich,
Telefonnummer: 0800 1110111 oder 0800 1110222
Es gibt auch eine App der Telefonseelsorge!