Willkommen im Land der Dysthymie und Depression!

Kategorie: Vorurteile

Keiner will mehr arbeiten

Oder, wenn nicht gejammert wird, dass keiner mehr arbeiten wolle, wird gejammert, die jungen Menschen würden nicht mehr arbeiten wollen. Doch stimmt das so pauschal? Und was hat Arbeit mit Burn-Out oder Depression zu tun? Meine nicht-arbeitgeberfreundliche Meinung zu „Keiner will mehr arbeiten“.

„…mehr Bock auf Arbeit“

Im Februar 2023 forderte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) Steffen Kampeter längere Arbeitszeiten und mehr Bock auf Arbeit. Im Mai 2023 erklärte Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), in einem Interview, was im Grunde damit gemeint wäre: keine Arbeitszeitverkürzung, da dies auch rententechnisch nicht zu bewältigen wäre, sondern „Es geht um Lust auf mehr Arbeit.“ Außerdem meinte er: „Für manchen ist es auch schlicht nicht attraktiv, mehr zu arbeiten, weil die Einkommenssteuer das meiste auffrisst, was man mehr verdient.“

Viele wollen nicht mehr und mehr arbeiten!

Nun, mag sein. Aber die Gründe, die ich von den meisten Arbeitnehmern bisher hörte, weshalb sie nicht mehr arbeiten wollen, klingen ganz anders:

  • Die Anerkennung fehlt. Selbst wenn unbezahlte Überstunden abgeleistet werden, erfolgt keine Anerkennung. Im Gegenteil – danach wird immer noch mehr verlangt.
  • Mehr Arbeit wird auf die derzeitigen Mitarbeiter verteilt = bei Kündigungen oder anderen Gründen, weshalb ein Arbeitnehmer ausscheidet, wird auch diese Arbeit auf die derzeitigen Mitarbeiter verteilt. Jeder Einzelne hat immer mehr zu leisten.
  • Wenn endlich der Feierabend erreicht ist, sind viele viel zu kaputt, um freiwillig noch mehr Zeit investieren zu können.
  • Viele haben nunmal auch ein großes Interesse, private Beziehungen zu pflegen. Das geht nicht mit ausufernden Arbeitszeiten, permanenter Selbstoptimierung und wenn man sich irgendwann nur noch zu müde für alles fühlt.
  • Mehr Arbeit führt nicht zu unbefristeten Arbeitsverträgen.
  • Mehr Arbeit führt nicht zu Beförderungen. (Vitamin Beziehung und Lautsein bringt da schon weitaus mehr.)
  • Mehr Arbeit führt nicht zu einer besseren Bezahlung.

Die Liste kann ich so gerne weiterführen.

„Keiner will mehr arbeiten“ – die Quittung für all die leeren Versprechungen!

Als ich zur Schule ging, wurde mir versprochen, dass es mir gut ginge, wenn ich fleißig wäre. Dass ich eine feste, sichere Arbeitsstelle bekäme und und und. Die Wahrheit? Die Tätigkeitsbeschreibungen in den Arbeitsverträgen und meine Arbeitsalltag klafften weit auseinander. Ich hatte Arbeitgeber, denen ich wegen meines Gehalts regelmäßig hinterherrennen durfte, eine Arbeitgeberin schuldet mir bis heute noch knapp drei Gehälter, hinzu kamen Dinge wie ein befristeter Arbeitsvertrag nach dem anderen. Wäre es nach zahlreichen Betrieben gegangen, hätte ich X unbezahlte Praktika absolvieren können, mich gerne „ehrenamtlich“ engagieren können usw.
Weihnachts-, Urlaubs – oder sonstiges Extra-Geld? Bitte, wir haben doch nicht die 1980er! Wovon träumst du denn nachts?

Ich gehöre nicht zu den Millenials, Gen Y oder der Gen Z, die so oft als „faul“ beschimpft werden, sondern zu denen nach den Babyboomern, der „Generation X“. Kurz: zu denen, die bei der ganzen Diskussion ignoriert werden. Generation Pillenknick gehört da rein (also mein Jahrgang) – das sind so wenige, wen interessieren die denn schon?

Wir sind diejenigen, bei denen manche noch die alten Versprechen erfüllt bekamen, während andere bereits in der neuen Arbeitswelt unsanft erwachten. Ich habe Abitur und kenne die Schattenseiten. Menschen, die „nur“ den Hauptschulabschluss vorweisen konnten, landeten spätestens in den 2000ern schnell im Strudel, der sie von einer Zeitarbeitsfirma zur nächsten wirbelte. Nichts war mehr sicher, ist es auch heute nicht.

Für mich sind alle, die offen sagen, dass sie nicht (mehr) arbeiten wollen oder zumindest nicht unter diesen Bedingungen, einfach nur ehrlich und keineswegs faul.

„Keiner will mehr arbeiten“ – und Care-Arbeit zählt immer noch nichts

Es ist ja nett, wenn Arbeitgeberpräsidenten von sich geben, keiner wolle mehr arbeiten, und wiederholt mehr Arbeitszeit (und Lust) einfordern. Das zeigt auch etwas, das in unserer Leistungsgesellschaft vollkommen schief läuft: Care-Arbeit wird nicht als Arbeit angesehen. Sie zählt nichts, da ja weder etwas produziert wird noch eine Bezahlung, mindestens nach Mindestlohn, erfolgt. Scheinbar ist Care-Arbeit einfach nur irgendeine Freizeitbeschäftigung. Sie trägt weder dazu bei, dass das Brutto-Sozialprodukt, noch dass das Exportvolumen steigt.

Bei Pflegegrad 2 wird ein Hilfebedarf von 3 Stunden täglich eingeschätzt. Wäre es Arbeit, die ein Angehöriger hier verrichtet, dann würden bei 3 Stunden täglich, 7 Tage die Woche = 21 Stunden pro Woche x Mindestlohn 12 Euro = 252 Euro pro Woche herausspringen. Hochgerechnet auf den Monat ist das ein Midijob (seit 2023 bis 2000 Euro brutto), also gehen die Sozialversicherungsbeiträge ab.
Die sind aber lange nicht so hoch. Sie erklären nicht, weshalb ein pflegender Angehöriger (meistens ist es ja eine pflegende Angehörige…) 316 Euro abzugsfrei pro Monat erhält.

Aber das fehlende Geld wird doch mit gaaaanz viel Liebe und Anerkennung ausgeglichen, oder? Macht man doch gerne in seiner FREIZEIT.

Genauso wenig wie die Pflege Angehöriger als Arbeit gezählt wird, sieht es bei der Kindererziehung aus. Es gibt zu wenige Kindertagesstätten, hier stimme ich voll und ganz mit den Arbeitgeberpräsidenten überein. Doch was ist mit den Kindern, die in einer Kindertagesstätte waren und dann in die Schule kommen? Vor allem während der Ferienzeiten? Eltern stehen mit diesem Problem alleine da. Tja, außerdem ist Kinder kriegen und erziehen wohl noch so ein Hobby, das zulasten der Rente, der Arbeitgeber, der Produktion geht.

Wer ist denn „faul“?

Worüber ich ebenfalls bei meinen Recherchen stolperte: Die „Babyboomer“ beschweren sich, zumindest in allen möglichen Zeitungsartikeln, über die faulen Jungen, aber seltsamerweise wollen die meisten am liebsten früher in Rente trotz Abschläge. Laut agrarheute.de herrscht ein regelrechter Trend zum früheren Rentenbeginn.

Na, wie passt das denn zusammen? Die einen haben bereits ein früheres Renteneintrittsalter als wir alle danach jemals haben werden, und wollen am liebsten noch früher in Rente – aber die danach sind faul? Obwohl die danach vermutlich sowieso nicht mehr so eine Rente bekommen werden, egal, wie sehr sie sich anstrengen? Viele von uns, der Gen X, machen ja bereits Witze, dass wir niemals in Rente gehen können, da wir uns das sowieso nicht leisten können.

So oder so: Ich kann keinem jungen Menschen nachvollziehbar erklären, weshalb er sich ins Zeug legen soll für irgendeine Arbeitsstelle. Vor allem nicht, wenn es dann noch um irgendeine ach-so-verzweifelt-gesuchte Fachkräftemangelstelle in der Pflege, in der Erziehung, Bildung oder im sozialen Bereich geht. Es zahlt sich in mehrfacher Hinsicht nicht aus.

„Fachkräfte“: Bezahlung und Arbeitsbedingungen

Es zahlt sich für die angeblichen Fachkräfte nicht aus.
Weshalb „angebliche Fachkräfte“? Wenn es gesuchte Fachkräfte wären, dann müsste sich das in der Bezahlung und in den Arbeitsbedingungen widerspiegeln, oder? Macht es jedoch nicht.

Im März 2023 brachte das ZDF einen Beitrag: „Soziale Berufe an der Belastungsgrenze„. Interessant fand ich diesen Satz: „Über alle Arbeitsfelder der sozialen Arbeit hinweg arbeiten laut Studie mehr als ein Drittel (38,9 Prozent) der Befragten regelmäßig drei oder mehr Stunden wöchentlich zusätzlich.“ So viel zur unterstellten Faulheit und der Forderung nach Mehrarbeit.

Oh, studieren sollen die Kinder? Studiert bringt mehr? Erzieher*innen verdienen im Bereich Erziehung/Sozial noch vergleichweise gut.
„Andere soziale Berufe wie Sozialpädagogen oder -arbeiter erhalten im Schnitt ebenfalls niedrigere Löhne als Erzieher: für sie gibt es monatlich zwischen 2.300 Euro und 3.600 Euro.“ (Quelle: p-werk.de)
Natürlich darf man nicht vergessen, dass eine Teilzeitstelle weniger Bruttogehalt mit sich bringt, Erzieher also oft weniger Geld aufgrund der geringeren Stundenanzahl bekommen.

Verdi hat ebenfalls eine aufschlussreiche Analyse zum Nachlesen über die Belastungen im Sozial- und Erziehungsdienst: „Manche arbeiten unbezahlt länger, um den Menschen dennoch gerecht werden zu können. Auch, weil sie sich sonst für die Überstunden rechtfertigen müssen. Für mich ist die größte Belastung, dass man alleingelassen wird.“

„Keiner will mehr arbeiten“?

Darum nochmal: „Keiner will mehr arbeiten?“ Ohne diese ständige Mehrarbeit und dieses Engagement wäre doch längst alles wie ein Kartenhaus zusammengestürzt. Auch wenn diese Bereiche so wenig Anerkennung finden, arbeiten sich dort viele bis zur Erschöpfung kaputt.

Es kann ganz schlicht und einfach nicht mehr so weitergehen! Auf Dauer ist dieses System nicht mit noch mehr und noch mehr aufrechtzuerhalten.

Umgang mit Stigmatisierung

Depressive Menschen werden schnell stigmatisiert, weil sich viele gar nicht vorstellen können, was da überhaupt ein Problem oder gar eine Krankheit sein soll. Meist wird die Depression mit Charakterzügen gleichgesetzt. Es herrschen nach wie vor zahlreiche Vorurteile. Doch wie kann ein depressiver Mensch überhaupt mit diesen umgehen, ohne dass sie in eine weitere Abwärtspirale münden? Wie kann der Umgang mit Stigmatisierung aussehen?

Hinweis: Gerade experimentiere ich mit ChatGPT, da es mich interessiert, ob ich so noch weitere Impulse oder eine umfassendere Recherche bekomme. Trotzdem sind die Texte von mir, denn ich entscheide, was auf die Homepage kommt – und entscheide natürlich auch, inwiefern das, was mir ChatGPT ausspuckt, glaubhaft, nachvollziehbar, relevant und zur Weiterbearbeitung durch mich überhaupt brauchbar ist. Aber, da es sich für mich richtig anfühlt, auch wenn es eine KI und kein Mensch ist, nenne ich ChatGPT dieses Mal als eine Art Co-Autor bzw. Sparringpartner.

Vorurteile, die zur Stigmatisierung führen

Ich fragte Chat GPT, welche Vorurteile die KI kennt. das war gleich eine ganze Menge. Vom üblichen „nur eine Phase“ und zusammenreißen kamen dort auch einige sehr harte Vor-Verurteilungen vor:
„Depressive Menschen sind einfach faul oder unmotiviert.“
„Depressionen sind nur eine Ausrede, um nicht arbeiten zu müssen.“
„Depressive Menschen sind unzurechnungsfähig oder nicht in der Lage, rationale Entscheidungen zu treffen.“
„Depressionen sind eine Schwäche und können durch „härtere“ oder „diszipliniertere“ Menschen überwunden werden.“

Wow, das zieht auch mir den Boden unter den Füßen weg und bringt mich bereits beim Lesen dazu, mich rechtfertigen zu wollen: „Ich habe aber doch sogar neben einer 39-Stunden-Woche eine Bachelorarbeit geschrieben…“ Das trifft mich heftig, weil es an meinem Leistungsanspruch gegenüber mir selbst rüttelt. „Für meine Bachelorarbeit und in meinem Job musste ich doch auch rationale Entscheidungen treffen.“ Und so weiter.

Doch genau das ist es, was wir depressive Menschen befürchten, oder? Dass wir mit unserer Krankheit gleichgesetzt werden und all die Bemühungen, wenigstens halbwegs zu funktionieren, bloß keine Fehler zu machen und und und, plötzlich vollkommen negiert werden, als ob wir nie, niemals irgendetwas gemacht haben. Selbst wenn wir selbst es uns allzu gerne einreden: „Du kriegst aber auch nie was auf die Reihe.“ Ich kämpfe immer wieder gegen diese Selbstverurteilung. Wenn sie dann noch von außen kommt, fühle ich mich endgültig als Komplettversager.

Diese Vorurteile können auch heftige Auswirkungen im beruflichen Umfeld haben.

Berufliche Auswirkungen der Stigmatisierung

Als ich ChatGPT nach den Auswirkungen einiger Vorurteile auf den Job fragte, hatte ich bereits einige im Hinterkopf:

  • Wer als „faul“, „nicht zuverlässig“ und „undiszipliniert“ gilt, bekommt gewöhnlich weder ein interessanteres Arbeitsfeld oder Projekt, wird bei Wichtigem gerne ausgeschlossen, ist in vielen Teams unwillkommen und muss aufpassen, nicht auf dem Abstellgleis zu landen.
  • Die Person wird auch nicht befördert.
  • Gehaltserhöhung? Fehlanzeige!
  • Es gibt keine Weiterbildungsmöglichkeiten oder diese werden verwehrt.
  • Selbst kleine Fehler und wenn der / die Betroffene „nein“ sagt, werden als Teil der Krakheit bzw. als Faulheit gewertet.
  • Beim Flurfunk verbreiten sch selbst die kleinsten Fehler oder eine vermeintliche miese Laune schneller.
  • Allgemein kann es bei wenig einfühlsamen Kolleginnen und Kollegen zur Isolation und zu Beleidigungen kommen, meist verpackt als kleine Spitzen, die gar nicht so leicht zu fassen sind.
  • Es kann zu Mobbing und Bossing kommen.

ChatGPT brachte noch weitere Nachteile:

  • „[…] sie könnten sogar diskriminiert oder gekündigt werden.“
  • „Wenn Depressionen als Zeichen von Schwäche angesehen werden und die Erwartung besteht, dass depressive Menschen sich „zusammenreißen“ sollten, können sie zögern, um Hilfe zu bitten oder über ihre psychische Gesundheit zu sprechen. Dadurch fehlt ihnen möglicherweise der Zugang zu angemessener Unterstützung, sei es in Form von flexiblen Arbeitszeiten, Therapiemöglichkeiten oder anderen Ressourcen.“

Gerade der letzte Punkt ist wichtig. Ich rechne mit Nachteilen, also traue ich mich nicht, Hilfe zu holen. So kommt es aber zu weiteren Nachteilen bzw. es kann dazu führen, dass ich womöglich gar nicht mehr arbeiten kann.

Erfahrung mit Stigmatisierung am Arbeitsplatz

Mir selbst fallen einige Punkte ein, wie man mit der möglichen Stigmatisierung am Arbeitsplatz umgehen kann. Ich versuchte es mit Offenheit.
Doch eines ist sicher: Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob überhaupt die Dpression thematisiert werden soll. Ich versuchte zwar, so offen wie möglich am Arbeitsplatz darüber zu informieren. Trotzdem war es nicht leicht und natürlich rief ich damit einige Reaktionen hervor, die mich erst recht heftig trafen. Immerhin arbeitete ich bereits über ein Jahrzehnt dort, ich erwartete also, dass mich meine Kolleginnen und Kollegen unabhängig meiner Depression sahen. Das ist vermutlich aber gar nicht so einfach.

Ich traf auf manche dummen Sprüche (meist durch die verbreiteten Vorurteile), bei einigen auf viel Verständnis und Unterstützung und bei anderen auf Hilflosigkeit. Überwiegend also auf die letzten beiden Reaktionen, aber die dummen Sprüche gab es natürlich ebenfalls. Hier musste ich aufpassen, dass ich die nicht in meinem Kopf überbewertete und die anderen, viel hilfreicheren Reationen, die ja den größeren Teil ausmachten, bei meiner Bewertung verkleinerte.
Ja, das ist eine der zahlreichen Fallen des negativen Denkens der Depression. 😉

Umgang mit Stigmatisierung am Arbeitsplatz

Mir half es

  • zunächst meine engsten Kollegen (ja, waren alles Männlein) zu informieren und mir so Unterstützung zu holen.
  • mich selbst über meine Erkrankung informieren und so einige Fragen beantworten zu können.
  • mir selbst zu verdeutlichen, dass einige sehr erfolgreiche Menschen ebenfalls (zumindest zeitweise) depressiv waren.
  • professionelle Hilfe durch meine Therapie zu erhalten.
  • meinen Vorgesetzten von meiner Erkrankung zu erzählen.

Hier noch weitere Vorschläge von ChatGPT:

  • „Es ist wichtig, Ihre eigenen Grenzen zu erkennen und zu setzen. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihre psychische Gesundheit durch stigmatisierende Kommentare oder Handlungen beeinträchtigt wird, sollten Sie dies klar kommunizieren. Geben Sie an, welche Art von Unterstützung Sie benötigen und welche Maßnahmen helfen könnten, Ihre Arbeitsumgebung positiver zu gestalten.“
  • „Nehmen Sie sich Zeit für Selbstfürsorge und achten Sie auf Ihre psychische Gesundheit. Das kann bedeuten, regelmäßige Pausen einzulegen, Achtsamkeitsübungen zu praktizieren, ausreichend Schlaf zu bekommen und eine gesunde Work-Life-Balance aufrechtzuerhalten. Indem Sie sich selbst gut umsorgen, können Sie besser mit Stigmatisierung umgehen.“
  • „Informieren Sie sich über die gesetzlichen Bestimmungen und Rechte, die Sie als Mitarbeiter mit psychischer Erkrankung am Arbeitsplatz haben. Es gibt möglicherweise Schutzmaßnahmen und Unterstützungssysteme, die Ihnen zur Verfügung stehen.“

Ja, das kann helfen. Anfangs hatte ich jedoch Schwierigkeiten, meine Grenzen überhaupt zu sehen oder überhaupt zu akzeptieren, dass ich krank war. Heute noch fällt es mir schwer. Insofern fällt es mir auch schwer, mit der gesetzlichen Keule zu winken. Das muss jede(r) für sich entscheiden. Mir war ein offenes Miteinander am wichtigsten und es funktionierte recht gut.

ChatGPT nannte außerdem, dem Arbeitgeber vorzuschlagen, „Sensibilisierungsprogramme oder Schulungen zu Depressionen und psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz anzubieten“. Allgemein halte ich das für eine gute Idee – vor allem in Bereichen, in denen viel mit anderen Menschen gearbeitet wird, die ebenfalls an psychischen Erkrankungen leiden (können).

Vorurteile im privaten Bereich

Hier kann es richtig weh tun, trifft man auf Unverständnis. Gerade wenn aus dem ganz engen Umfeld ein Kommentar kommt wie „hach, trink eine Tasse Tee und lass mal die Seele baumeln“. Ich fühlte mich absolut gar nicht ernst genommen. Im Gegenteil! Ich fühlte mich, als ob ich wegen nichts jammern würde, mich anstellen würde… Die Menschen im Arbeitsumfeld können nahe sein, doch Leute, die emotional richtig nahe stehen, also Familie und Freunde, die können durch unbedachte Äußerungen richtig verletzen.

Die Vorurteile sind jedoch auch hier aktiv und gar nicht so einfach abzustellen. Wie oft denken andere, dass es sich nur um eine Phase handelt oder gute Gedanken, mal raus gehen, etwas Sport treiben usw. hilft? Oder „triff dich mal mit anderen Leuten und höre auf, um dich selbst zu kreisen“? „Du musst rausgehen unter die Leute.“ „Du hast doch nix. Guck doch mal, wie gut es dir geht!“
„Depressive Menschen sind egoistisch und selbstbezogen.“ nannte ChatGPT als weiteres Vorurteil, das auch privat zu einer Stigmatisierung führen kann.

Interessant ist das gerade dann, wenn man sich dann mal umschaut, welche Menschen am meisten mit einer Depression in Behandlung sind. Also in meinen Gesprächsgruppen, im Krankenhaus oder in der Reha traf ich genau auf diese Leute, die auch dort die absolute Mehrzahl waren: Menschen mit sozialen Berufen, dem Bildungsbereich und/oder dem Pflegebereich. Das passt nicht zu dem Vorurteil „egoistisch und selbtbezogen“. Außerdem waren auffallend viele dort, die sehr leistungsbezogen, perfektionistisch und einfühlsam waren. Also diejenigen, die ich als „Leistungsträger unserer Gesellschaft“ (also nicht die selbstverliebten BWLler) bezeichnen würde. Ohne sie würden wir gar nicht als soziale Gemeinschaft funktionieren.

Doch wie sieht der Umgang mit Stigmatisierung im privaten Bereich am besten aus? Was kann ich tun?

Umgang mit Stigmatisierung im Privaten

Auch hier finde ich, dass Offenheit am meisten hilft. Selbstverständlich habe ich keine Lust, jeder flüchtigen Bekanntschaft davon zu erzählen, aber gerade bei meinen engsten Vertrauten ist es mir wichtig, dass sie Bescheid wissen.
Dies liegt auch daran, weil ich zum Rückzug tendiere. Ich will ganz einfach nicht, dass Menschen, die mir wichtig sind, am Ende noch meinen Rückzug als ihren Fehler ansehen oder es zu anderen Fehlinterpretationen kommt.

Nein, ich ziehe mich zurück, weil es mir nicht gut geht. Du bist vollkommen in Ordnung! Du hast nichts falsch gemacht.
Und falls doch, wenn du mich irgendwie verletzt hast, dann muss ich es ansprechen, denn du kannst es nicht einfach so wissen. Schließlich bist du kein Hellseher.

Ja, das ist oft sehr schwer. Das heißt für mich, dass ich meinem Gegenüber auch erklären muss, welcher Kommentar mich verletzt und weshalb. Huuuuh, und da über ich noch!
Vor allem, weil ich immer die Befürchtung habe, dass ich irgendwelchen Erwartungen nicht entspreche, weil ich befürchte, dass ich zu egoistsch bin oder auch, weil ich es teilweise gar nicht wirklich erklären kann, was da in mir vorgeht. Außerdem will ich nach wie vor viel lieber als starke Person gelten – und da passt das eines „schwächlichen Jammerlappens“, wie ich mich selbst gerne bezeichne, gar nicht.

Ein Teil ist also durchaus Selbststigmatisierung, die ich auf andere Menschen übertrage. Ich fühle mich nicht gut, fühle mich nicht gut genug, minderwertig, mangelhaft – und ich will geichzeitig nicht, dass irgendwer genau das von mir denkt. Das will ich verstecken. Doch wenn ich zugebe, dass ich mit einem Kommentar getroffen wurde, zeige ich meine Schwäche und habe gleichzeitig im Kopf: „Ein getroffener Hund bellt.“ Also ist vielleicht doch etwas an dem Urteil dran?

Gesellschaftliche Stigmatisierung

Vieles ist nunmal auch gesellschaftlich bei uns verankert. Es hat seine Gründe, weshalb seltener Männer in Behandlung sind, aber die Suizidrate bei Männern höher ist. Wie oft müssen Männer und Jungs „stark“ sein, sonst sind sie Schwächlinge, am Ende sogar „Pussys“?
(Oh ja, und diese Rollenzuschreibung und damit verbundene Diskriminierung geht voll in beide Richtungen. Ein „schwacher“ Mann wird als weiblich verunglimpft, was auch zeigt, dass Frauen „nur schwach“ etc. sind. Aber das ist gerade eine andere Baustelle, die ich ebenso übel finde.)

Worüber ich oft stolperte: Ich entspreche nicht der Vorstellung einer depressiven Person. Die können weder lächeln noch lachen. oder auf andere zugehen. Sie sind nicht kommunikativ. Meine Maske, die ich seit Jahrzehnten trage, funktioniert(e) also hervorragend.

ChatGPT meint hierzu: „Die Gesellschaft kann bestimmte Erwartungen und Normen haben, wie jemand sein „sollte“ oder wie sich eine Person mit Depressionen „verhalten sollte“. Dies kann zu Stigmatisierung führen, wenn depressive Menschen diese Erwartungen nicht erfüllen oder nicht den gängigen Stereotypen entsprechen.

Wie wahr. Du heulst nicht die ganze Zeit, du kannst also keine Depression haben. Ach, nebenberuflich ein Studium durchgezogen? Dann kannst du nicht depressiv sein. Depressive kriegen nichts auf die Reihe und liegen den ganzen Tag im Bett. Ganz einfach? Oder?

Das führt dann dazu, dass Hilfe ausbleibt oder der/die Kranke gar nicht ernst genommen wird.

Stigmatisierung untypischer Depressiver

Neben der „fehlenden Authentizität“, der mangelnden Unterstützung, dass selbst viele Ärztinnen und Ärzte die untypisch depressiv Erkrankten überhaupt nicht erkennen oder erst nehmen, gibt es noch zahlreiche weitere Schwierigkeiten. Bei mir war es zum Beispiel so, dass meine Hausärztin mir zunächst gar nicht glauben wollte, dass ich Suizidgedanken habe. Kann ja nicht sein, dass da was ist, wenn die gegenüber sitzende Frau da freundlich ist und lächeln kann. Die simuliert nur, da ist nichts. Zumindest nichts Akutes.

Auch mit meiner schweren Depression habe ich (scheinbar) noch meinen Alltag bewältigt. Weder magerte ich ab, noch mied ich tagelang die Dusche oder hatte Schlafstörungen. Dass ich im Gegenteil zunahm, teils bloß nicht ungeduscht etc. auch nur den Müll rausbringen wollte, ich könnte ja jemand mit meinem Geruch belästigen, und am allerliebsten nur noch schlief, das passte halt nicht.

Ergebnis? Meine Erkrankung war sehr lange unsichtbar. Auch vor mir selbst, denn ich kannte ja die ganzen Bilder, wie sich ein depressiv erkrankter Mensch verhält. War ich nicht, also musste ich es mir ja einbilden. Zu wehleidig halt, da muss ich noch an mir arbeiten.

Die Stigmatisierung geht also wieder gleich in mehrere Richtungen:

  • selbst nicht erkennen und wahrhaben
  • viel später erst Hilfe suchen
  • von außen sogar für Expertinnen und Experten nicht einfach zu erkennen, erst Recht nicht für Hausärzte und -ärztinnen
  • verzögerte Hilfe von außen, wenn Hilfe überhaupt kommt
  • allgemein auch im Umfeld nicht ernst genommen werden
  • wirkt unglaubwürdig und somit als Simulant oder Wichtigtuer, der (die) nur Aufmerksamkeit will

Und bei mir noch eine gewaltige Selbststigmatisierung: Ich war der festen Überzeugung, dass es anderen viel schlechter geht. Also sollte ich mich zusammenreißen und nicht am Ende gar anderen einen der raren Therapieplätze wegnehmen.

Umgang mit Selbststigmatisierung

Es ist also in erster Linie sogar das allerwichtigste, dass depressiv Erkrankte aufhören, sich selbst zu stigmatisieren. Durch die Selbststigmatisierung fällt es viel schwerer, überhaupt offen zu sein, sich im Umfeld Unterstützung zu holen oder gar professionelle Hilfe zu fordern. Ja, Hilfe ist teilweise auch ein fordern, was gar nicht so einfach ist.

Einige Vorschläge zum Umgang mit der Stigmatisierung gegenüber sich selbst:

  • lesen, hören, informieren – über die Depression lernen, wie sie aussehen kann, oder auch bei Unsicherheit den Selbsttest machen und den als Grundlage mit zum Arzttermin nehmen
  • versuchen zu akzeptieren, dass eine Depression wirklich eine Erkrankung ist und nicht einfach nur eine Sache des Wollens – und leider nicht so schnell verschwindet
  • Hilfe suchen und annehmen, denn alleine ist es schwer, aus dem Loch zu kommen. Auch Gesprächsgruppen sind eine große Hilfe. Es ist so befreiend, dass dort anderen nicht alles erklärt werden muss, weil es ihnen genauso geht – und dass man nicht alleine ist!
  • netter zu sich selbst sein. Würde ich so mies zu anderen Menschen sein, wie ich es oft zu mir selbst bin, dann könnte mich keiner leiden. Das ist ein Lernprozess, der sehr viel Geduld und Selbstmitgefühl verlagt.

Hierbei ist Hilfe von außen wichtig, weil es kaum alleine zu schaffen ist:

  • negative Glaubenssätze und Denkmuster langsam nach und nach ersetzen (und nö, von „Ich hasse mich.“ zu „Ich liebe mich.“ ist kein Katzensprung, der durch einfaches Umformulieren und permanente Wiederholung geschafft wird)
  • selbstabwertende Gedanken durch unterstützende und aufbauende Aussagen ersetzen – Außenstehende ertappen einen schneller bei „meiner Wenigkeit“
  • Es muss nicht immer alles perfekt sein. Kleine Schritte sind in Wirklichkeit bereits große Fortschritte, gerade hier. Da man selbst sie jedoch iel zu oft übersieht oder ganz winzig redet, ist auch hier Hilfe von außen wichtig. Aufschreiben hilft auch!

Umgang mit Stigmatisierung – Fazit

Es ist wichtig, zuerst sich selbst zu stärken, indem die Selbststigmatisierung erst einmal aufhört oder zumindest nicht mehr so stark ist.

Informationen und der Austausch mit anderen Betroffenen stärkt ebenso, es gibt auch zahlreiche Erlebnisgeschichten, Podcasts etc.

Mit viel Offenheit im privaten Umfeld können sich Erkrankte eine weitere wichtige Unterstützung holen, die dann hoffentlich stark genug für die Offenheit auch im beruflichen Umfeld macht.

Gesellschaftlich kann Betroffenen ebenfalls durch Aufklärung, Kampagnen, Medienbeiträge usw. geholfen werden.
Ich finde es positiv, dass zahlreiche Prominente über ihre psychischen Erkrankungen sprechen, wodurch deutlich wird, dass es jede(n) treffen kann.
Hier ist eine gewisse Verantwortung bei Medienschaffenden:
Bitte keine Sensationen, keine Verunglimpfung, keine Stereotype! Es geht hier um Menschen und nicht einfach nur um Klicks oder Auflagenzahlen.

Ebenso sind Depressionen keine Modeerscheinung. Es gab bereits früher depressive Menschen. Wir kennen nicht all die Namen, aber zumindest wissen wir von einigen Künstlern, Politikern und anderen damals Prominenten, die Depressionen hatten und sogar Suizid begingen.

Es muss aufhören, dass Depressionen klein geredet werden. Hier sollte jeder einfühlsame Mensch, auch psychisch Gesunde, es akzeptieren, dass dies eine Erkrankung ist. Niemand würde körperliche Krankheiten klein reden, selbst wenn diese weniger tödlich sind!
2020 erfasste das Statistische Bundesamt 9787 Suizide, wobei geschätzt wird, dass die meisten durch psychische Erkrankungen verursacht wurden. Das sind nicht so viele wie die Krebstoten oder diejenigen, die durch Erkrankungen des Herz-Kreislaufssystems starben (Herzinfarkte, Schlaganfälle etc.), aber mehr als die 2724 Verkehrstote, 951 Todesfälle durch Viruserkrankungen (nicht Corona, ich wollte mehr das „Normale“ als Vergleich) sowie, laut DGUV, 347 tödlichen Arbeitsunfälle.

Je mehr psychische Erkrankungen ins Bewusstsein unserer Gesellschaft rücken und Vorurteile verschwinden, umso eher suchen sich Betroffene auch Hilfe und es kommt zu weniger Suiziden. Und umso mehr Stellen, wo Betroffene ohne große Hürden Hilfe finden können, werden hoffentlich geschaffen.

Alles psychisch bedingt…?

Heute hörte ich mal wieder, dass etwas „psychisch bedingt“ wäre, das ich als „nicht von der Psyche verursacht“ einstufte. Ich schätzte es höchstens als „kann die Psyche beeinflussen oder von ihr verstärkt werden“ ein.
Aber was stimmt denn nun? Besitzen zum Beispiel Allergien oder Krankheiten wie Erkältungen oder gar Krebs psychische Ursachen?

„Allergien sind psychisch bedingt“

Zumindest meinte mein Gesprächsnachbar beim Mittagstisch das. Das fand ich widerum sehr seltsam, denn dann dürfte es doch einige Allergien gar nicht geben. Genauso ist es dann unverständlich, wie jemand auf etwas allergisch reagieren kann, wenn er/sie sich in diesem Moment sehr gut fühlt.

Ein Beispiel: Als Kind spielte ich wahnsinnig gerne mit Schnecken. Ich fand Schnecken klasse, die mich aber bestimmt nicht. Zumindest wenn ich mir vorstelle, dass mich ein Mädchen einfach so mal am Haus hochhebt und ganz woanders hin verfrachtet, stelle ich mir das als Horror vor. So weit dachte ich als Kind jedoch nicht. Und auf die Frage meiner Mutter, ob ich wieder mit Schnecken gespielt habe, antwortete ich meist „nein“. Leider verriet mich immer der Ausschlag an den Händen, den der Schleim der Schnecken verursachte. Dumm gelaufen. War aber kein Grund, nicht auch beim nächsten Schneckenrennen mitzumachen…

Mir ging es gut – weshalb sollte ich also, folge ich der Theorie der psychisch bedingten Allergien, darauf eine Hautreaktion zeigen?

Auf der Homepage my allergy erklärt Frau Dr. med. Winiarski dazu Folgendes:
„Allergien sind keine psychischen Erkrankungen. Sie entstehen vor allem durch eine Fehlsteuerung des Immunsystems.“
Wobei darauf hingewiesen wird, dass es auch Betroffene gibt, die bei der Vorstellung bereits mit Symptomen ihrer Allergie reagieren. Die Psyche bzw. Stress können natürlich einen Allergieschub beschleunigen oder verstärken.

Auch im Artikel des Stern wird auf den Zusammenhang zwischen Stress und Allergien hingewiesen, jedoch hervorgehoben, dass es weder eine Allergie-Persönlichkeit noch grundsätzlich einen seelischen Hintergrund gibt. Die Psyche kann den Verlauf verschlimmern oder abmildern.

Allergien sind also nicht psychisch bedingt.

Hat Krebs psychische Ursachen?

Das Deutsche Krebsforschungszentrum stellte über 2000 Menschen Fragen zu ihren Überzeugungen zum Thema Krebs.
Fast dreiviertel der Befragten lehnten die Vorstellung ab, dass es eine „Krebspersönlichkeit“ gibt, so wie es früher vermutet wurde. Immerhin. Leider zeigten sich die Leute weniger aufgeklärt, was die Ursache betrifft: 61% waren überzeugt, dass Krebs durch seelische Probleme und Stress verursacht würde. Dafür gibt es jedoch keine wissenschaftliche Belege, also falsch.

Und mit erschlagender Mehrheit waren die Befragten überzeugt, dass eine kämpferische Grundhaltung die Überlebenschancen verbessern würde.
Stimmt aber auch nicht. Jeder muss für sich herausfinden, was beim Kampf gegen den Krebs unterstützt. Funktioniert „good vibes only“ nicht und geht sogar nach hinten los (so wie bei Depressionen), darf ruhig geheult werden.

Dieser Zwang zur Heiterkeit ist ohnehin meiner Meinung nach eher schädlich. Reicht denn nicht bereits die Krankheit? Müssen dazu noch Schuldgefühle kommen, weil keine Sonnenstrahlen aus dem A*** schießen?

Krebs ist nicht psychisch bedingt. Der Patient ist also nicht selbst schuld!

Erkältungen, Herpes, Gürtelrose… psychisch bedingt?

Diese drei Erkrankungen tauchen, zumindest in meinem Umfeld, am häufigsten als „psychisch bedingte“ Krankheiten auf.
Trifft das hier zu oder ebenfalls nicht?

Dr. Tamara Wald geht auf der Homepage Fernarzt einigen Mythen nach. Herpes (Herpes simplex) und Gürtelrose (Herpes zoster) lauern im Körper nach einer Infektion. Während Herpes immer wieder auftreten kann, kommt eine Gürtelrose nur zu Besuch, wenn bereits vorher eine Windpockenerkrankung vorlag und dann in seltenen Fällen später nochmals. Gut nachzulesen auf guertelrose-infektion.de.

Anhaltender Stress bzw. anhaltende psychische Probleme können das Immunsystem schwächen. Das begünstigt einen Ausbruch der bereits im Körper lauernden Viren.
Ein geschwächtes Immunsystem ist gleichzeitig eine Einladung für alle Virenerkrankungen, die es gerade im Umfeld gibt. Daher kann es schon passieren, dass auch eine Erkältung sich nicht lange bitten lässt.

Eines sicher: Die Psyche ist nicht der Verursacher der Erkrankungen, ein geschwächtes Immunsystem aber schon. Letzteres hat aber nicht immer psychische Ursachen – manche Medikamente oder eine gerade überstandene Erkrankung können ebenfalls die Ursache sein.

Fazit

Hobbypsychologie, untermauert durch „Erfahrungen“, Glauben und Überzeugungen, ersetzt keine wissenschaftlichen Belege und eine(n) ordentliche(n) Arzt oder Ärztin.

(Zum Glück, sonst wäre die Sterblichkeit bei depressiv Erkrankten eher bei 100%…)

Du hast nichts Richtiges

Im Jahr 2023 könnte so jemand wie ich tatsächlich auf die blöde Idee kommen, dass es sich mittlerweile herumgesprochen hat, dass eine Depression eine Krankheit ist. Immer wieder werde jedoch ich eines Besseren belehrt: „Aber du hast doch nichts Richtiges!“

Wieso „wissen“ einige Leute mehr als meine Psychiaterin oder das Klinikpersonal im Landeskrankenhaus Alzey oder der Rehaklinik? Vermutlich gehen einige davon aus, dass ich nicht genug weine und ein Lächeln grundsätzlich bedeutet: „Mir geht’s gut.“
Dabei weine ich ungern in der Öffentlichkeit, so wie die meisten Menschen. Und ein Lächeln? Zum Teil ist das ein antrainiertes Verhalten. Oder hat jemals einer Eltern gehört, die ihre Kinder aufforderten, patzig, trotzig, schlecht gelaunt zu sein? Ich lernte, ich solle nicht „so eine Fresse“ ziehen. Immer hübsch lächeln, immer hübsch die Hand reichen und bloß keine Umstände machen.

Verurteilungen verletzen

„Nichts Richtiges“ bedeutet, dass ich nicht krank bin, sondern eine Simulantin bin. Zumindest unterstellt mir die andere Person das. Doch was ist ein Simulant? Das ist jemand, der eine Krankheit vortäuscht. Also täuscht, vorgibt – lügt. Aufgrund meiner Depression bin ich gerade arbeitsunfähig. Also bin ich in Wirklichkeit arbeitsfähig, belüge meine Umgebung und bin höchstwahrsheinlich einfach nur unglaublich faul.

Das Urteil „nichts Richtiges“ zieht also bereits hier einen ganzen Rattenschwanz hinter sich her. Es geht jedoch noch weiter.

„Nichts Richtiges“ bedeutet, dass ich ein Weichei bin, ein Jammerlappen, mich vor meiner Verantwortung drücken will und einfach nur mal die Zähne zusammenbeißen muss. Genau das sage ich mir auch, gerade wenn es mir besonders schlecht geht. Leider hilt mir das nicht, wieder auf die Beine zu kommen, sondern saugt mir das letzte Bisschen an Energie aus. Sagt mir jemand anderes das, fühle ich mich total verletzt und ich ziehe mich zurück. Und eines ist sicher: Bei dieser Person werde ich lügen, um mich zu schützen. „Jaja, alles soweit okay.“

Oft wünsche ich mir, die Depression wäre klar sichtbar

…denn dann wird es schwerer, die Depression als „nichts Richtiges“ abzustempeln. Gleichzeitig wünsche ich es mir jedoch nicht, da ich fürchte, dass dies schnell zu Diskriminierungen führen kann.
Depression? Auch wenn mal gehabt und genesen = hält nix aus = kann man Job XXX nicht geben = ist wahrscheinlich unfähig, sich um ihr Kind zu kümmern usw.
Viel zu oft wird diese Krankheit mit einem Persönlichkeitszug bzw. einer Schwäche gleichgesetzt.

Oder wie schnell heißt es auch, dass der/die Kranke das selbst „verschuldet“ hat?
Heute im Gespräch mit meiner Psychiaterin verglich ich kurz die Depression mit meiner Colitis Ulcerosa (chronische Darmerkrankung). Keiner käme auf die Idee, wenn ich von Blut im Stuhl oder Unterleibsschmerzen erzähle, dass ich das ja selbst verursacht habe. Wieso wird eine Erkrankung, die meistens viel besser behandelbar ist und, zumindest für mich, viel besser zu ertragen ist, ernst genommen? Während die potenziell tödliche Erkrankung als Hirngespinst verharmlost wird?

Das alles verstehe ich einfach nicht.

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